Tierhaltung | 05. Januar 2017

Lämmerkupieren – (k)ein Problem?

Von Elena Kuhnle, Prof. Dr. Ulrike Weiler, Prof. Dr. Volker Stefanski, Dr. Christian Mendel
Auch das Schwanzkupieren der Lämmer ist in die Diskussion geraten. Eine Pilotstudie der Universität Hohenheim und der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub sollte klären, ob das Kupieren für die Tiere eine erhebliche Belastung ist und ob sich der Eingriff tierverträglicher gestalten lässt.
Setzen des Gummirings auf die Standardlänge von etwa 7 cm.
Die Natürlichkeit des Produktionsverfahrens und die Unversehrtheit eines Tieres sind für den Verbraucher in den letzten Jahren zu einem  immens hohen Gut geworden. Aufgrund der fehlenden Nähe zur Produktion kann dies sogar so weit gehen, dass die Unversehrtheit zu einem Wert an sich gemacht wird, ohne die sachlichen Gründe für praktizierte Eingriffe zu berücksichtigen und mögliche Nachteile bei Verzicht auf einen solchen Eingriff zu würdigen.
Die Schafhaltung ist eines der natürlichsten Produktionsverfahren, das wir haben. Doch auch hier werden Eingriffe am Tier vorgenommen, die wir gut begründen und mit der möglichen Tierbelastung abwägen müssen, wenn sie fortgeführt werden sollen. Eine solche Güterabwägung aus wissenschaftlicher Sicht ist aktuell für das Kupieren des Schwanzes bei Lämmern dringend geboten.
Die Gründe fürs Kupieren
In Deutschland ist es Schafhaltern laut Tierschutzgesetz derzeit erlaubt, den Lämmern bis zu einem Alter von acht Tagen den Schwanz ohne Betäubung oder die Gabe von Schmerzmitteln zu kupieren. Zu einem späteren Zeitpunkt muss dieser Eingriff von einem Veterinär vorgenommen werden. In der Praxis werden traditionell die Mehrzahl der weiblichen Lämmer kupiert sowie Bocklämmer, die für die Zucht in Frage kommen. Historische Schriftstücke lassen vermuten, dass bei Mutterschafen der Schwanz bereits seit dem 14. Jahrhundert gekürzt wird.
Der damalige Hauptgrund für das Kupieren ist auch heute noch aktuell: Man befürchtete bei langen Schwänzen einen stark mit Kot verschmutzten Analbereich und dadurch den Befall mit Fliegenmaden. Ob sich dieses Problem allein durch angepasstes Management, beispielsweise in der Fütterung, oder eine zusätzliche Schwanzschur vollständig vermeiden lässt, ist derzeit fraglich, da systematische Daten unter unseren Produktionsbedingungen fehlen. Als weitere Gründe für das Kürzen des Schwanzes werden diskutiert:
  • ein erleichterter Deckakt
  • das  bessere Erkennen der bevorstehenden Geburt
  • das einfachere Auffinden des Euters für die Lämmer.
Eine nicht unwesentliche Rolle für das Kupieren von Böcken dürfte mitunter auch die Ausstellungskondition spielen, da die Keulen bei einem kurzen Schwanz wesentlich ausgeprägter erscheinen.
Während zur Technik gesetzliche Vorgaben existieren, ist das Ausmaß des Kupierens nicht klar geregelt. In der Schweiz ist vorgeschrieben, dass der verbleibende Schwanzrest After und Scheide vollständig bedecken muss. In Deutschland  gibt es hierzu nur unverbindliche Empfehlungen. Dementsprechend stark variiert in der Praxis die resultierende Länge des Schwanzes.
Das Kupieren des Schwanzes bei Lämmern von bis zu acht Tagen darf in Deutschland ausschließlich durch Applikation eines elastischen Gummiringes erfolgen. Durch den Gummiring wird die Blutversorgung des hinteren  Schwanzteils unterbrochen, so dass dieser abstirbt und nach zwei bis drei Wochen schließlich abfällt. Ob und inwieweit das Kupieren eine akute schmerzhafte Belastung für das Lamm darstellt und welche langfristigen Folgen es nach sich zieht, ist ein Streitthema zwischen Wissenschaft und Praxis. Ebenso strittig und weitestgehend unbekannt ist es, ob unter unseren Haltungsbedingungen das Management der unkupierten Tiere in der Praxis praktikabel ist und ob  ein vollständiger Verzicht auf das Schwanzkupieren zu einem höheren Tierwohl führt.
Pilotstudie
Um Basisdaten zur Beurteilung der Tierbelastung durch das Kupieren zu erheben, wurde eine Pilotstudie „Auswirkungen verschiedener Methoden des Schwanzkupierens bei Lämmern” der Universität Hohenheim und der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt.
Als Basismethode wurde das in Deutschland übliche Kupierverfahren mit Gummiring untersucht. Die Kupierlänge wurde so gewählt, dass bei weiblichen Tieren die Scheide großzügig bedeckt wäre. Im Ausland teilweise angewandte Kupiermethoden, wie beispielsweise das chirurgische Abtrennen des Schwanzes mit einem Messer oder das Abtrennen mittels einer erhitzten Eisenzange, kamen  aufgrund der Gesetzeslage nicht für einen Vergleichstest mit der Gummiringmethode in Frage. Zudem konnten die wenigen vergleichenden Studien zu den Kupiermethoden kein Verfahren identifizieren, welches das Problem einer möglichen Schmerzbelastung nachhaltig verbessern oder gar lösen würde. Daher wurden mit der Basismethode – dem Kupieren mit Gummiring auf eine Standard-Schwanzlänge (entspricht etwa  7 cm in der Praxis) – drei Varianten untersucht: die klassische Methode ohne jegliche Hilfsmittel, mit Verabreichung des Schmerzmittels Metacam oder mit Behandlung der Kupierstelle mit Kältespray vor dem Setzen des Gummirings. Des Weiteren wurde eine Langvariante, das heißt das Kupieren mittels klassischer Methode bei doppelter Standardlänge, analysiert. Als Kontrolle diente  eine unkupierte Lämmergruppe. Insgesamt wurden für die Masterarbeit 70 Lämmer ausgewertet.
Lamm mit Bauchgurt zur Sammlung des Urins
Zur Beurteilung der Belastung wurden folgende Parameter erhoben: Zur Messung des Hormons Cortisol, das im Zusammenhang mit Belastung stärker ausgeschüttet wird, wurden Urinproben mit Bauchgurten und Mullkompressen gesammelt. Die Probenahme erfolgte über zwei Stunden am Tag vor dem Kupieren sowie in den ersten beiden Stunden danach, zwei bis vier Stunden nach dem Kupieren und am Folgetag über zwei Stunden. Das  Verhalten wurde in den ersten vier Stunden nach Setzen des Gummirings per Video aufgezeichnet. In den Folgewochen wurden Wachstumsparameter und Gesundheitszustand fortlaufend erfasst.
Belastung nachweisbar
Nach den ersten Ergebnissen dieser Studie deutet es sich an, dass das Kupieren des Schwanzes bei Lämmern teilweise mit nicht unerheblichen und tierschutzrelevanten Problemen verbunden ist. Die Standardmethode führt dabei scheinbar zur höchsten Belastung für die Lämmer. Die Hormonwerte im Urin, die die Veränderungen im Blut mit kurzer Verzögerung widerspiegeln, stiegen in den ersten beiden Stunden nach dem Kupieren um 97 Prozent an, während in der Kontrollgruppe kein Anstieg nachweisbar war.
Die Behandlung mit Metacam oder Kältespray zeigte einen moderaten Effekt auf die Belastungsreaktion (Anstieg des Hormonwertes um 9 % bzw. 39 % in den ersten beiden Stunden nach der Belastung). Dagegen scheint die Belastung beim Kupieren in der Langvariante am geringsten zu sein, da die Hormonwerte nach dem Kupieren in etwa den Werten der unkupierten Tiere entsprechen.
Die Auswertung des Verhaltens der Lämmer bestätigt dieses Bild, da normales Ruheverhalten bei der Kontrollgruppe und der Langvariante im Vergleich zu den übrigen drei Gruppen länger war. Wenn Tiere durch Schmerzen oder Irritationen belastet werden, liegen sie nicht lange ruhig ab, sondern springen auf und versuchen, dem unangenehmen Reiz zu entgehen. Daher sind kürzere Ruhezeiten  ein Hinweis auf ein gestörtes Ruhen.  Innerhalb der drei Gruppen Standard, Metacam und Eisbehandlung hatten die Tiere mit Schmerzmittel oder Kältebehandlung etwas längere Ruhezeiten als die klassisch kupierte Gruppe ohne Schmerzbeeinflussung. 
Der Durchmesser der Wunde nach Abfall des Schwanzrestes war bei der Langvariante deutlich kleiner als bei den drei Varianten mit Standardlänge. Es dauerte bei der Langvariante auch im Schnitt etwa drei Tage länger, bis der Schwanz nach dem Kupieren abfiel.
Weitere Untersuchungen nötig
Für eine zukünftige Verbesserung des Tierwohls und die Bewertung der üblichen Praxis ist es nun zwingend notwendig, diese Methoden weiter zu untersuchen und zusätzlich an einer züchterischen Verkürzung des Schwanzes zu arbeiten, um langfristig ganz auf das Schwanzkupieren bei den Lämmern verzichten zu können.
Eine ausreichende genetische Variabilität für die züchterische Bearbeitung des Merkmals Schwanzlänge wäre vorhanden. Zum einen gibt es zahlreiche Rassen, bei denen der unkupierte Schwanz oberhalb des Sprunggelenkes endet (kurzschwänzige Rassen). Derzeit scheint von den kurzschwänzigen Rassen vor allem das Finnschaf für eine Einkreuzung des Merkmals in Frage zu kommen. Zum anderen scheint auch innerhalb der Rassen eine ausreichende Varianz bei der Schwanzlänge vorhanden zu sein, so dass es möglich erscheint, die Schwanzlänge durch reine Selektion innerhalb der Rasse zu verringern. In der erwähnten Pilotstudie variierte die Schwanzlänge der untersuchten unkupierten Lämmer bei einem Körpergewicht von 30 kg zwischen 29,6 cm und 43,3 cm.
Damit kann zusammenfassend gesagt werden, dass die praxisübliche Kupiermethode wohl eine schmerzhafte Belastung für die Lämmer darstellt und die Tiergerechtheit von Alternativen – wie Schmerzmitteleinsatz oder größere Länge –  weiter analysiert werden muss. Außerdem muss dringend untersucht werden, welche Folgen ein Verzicht auf das Kupieren für Tiere und das erforderliche Management unter unseren Produktionsbedingungen hätte und welches Ausmaß des Kupierens  überhaupt nötig ist, um die befürchteten Hygieneprobleme bei Kupierverzicht zu vermeiden.